Diese Geschichte liegt über 50 Jahre zurück, aber dennoch scheint sie ihren aktuellen Bezug noch nicht verloren zu haben. Vor 50 Jahren ging ich als kleiner Junge in die Volksschule. So hieß das damals. Heute würden wir dazu Grundschule sagen. Auch heute noch gehen kleine Kinder in die Grundschule, wie ich damals.

Ich kann mich noch gut daran erinnern. Es war ein sonniger Tag, aber trotzdem etwas kühl. Mit Pullover, Lederhose und Strumpfhose und meinem Tornister ging ich morgens los. Kaum war ich auf der Straße fielen mir wieder diese großen Steinhöhlen auf, die wundersam so viele Menschen beherbergten.

Staunend blieb ich immer wieder stehen. Zwischen den steinernen Höhlen waren große Freiflächen, die Trümmergrundstücke, über die ich sehr gerne ging, denn dort waren hier und da steinerne Höhlen in die Erde gebaut, die drinnen ganz dunkel waren. Menschen habe ich in diesen Höhlen aber nicht gesehen.
Nach einer Weile erreichte ich eine sehr große Höhle und ich wußte, daß ich dort über die Treppe einen Raum erreichen werde, zu dem ich von meiner Mutter geschickt worden bin. Ich tat genau das, was mir aufgetragen worden war und stand dann in einem großen Raum. Überall waren Kinder. Aber nicht so, wie ich es von der Straße her kannte, sondern alle Kinder saßen. Ich war das einzige Kind, was stand. Alle anderen saßen und rührten sich genauso wenig wie ich mich selbst. Mir kam das irgendwie komisch vor und hatte keine Idee, warum die Kinder nicht herumlaufen und spielten.

Dann hörte ich eine Stimme und eine große Person kam auf mich zu. Es war die Lehrerin, eine besondere Person wie mir viel später im Leben klar wurde. Sie wußte wohl um mich und sagte: „Guten Tag. Komm mal her zu mir. Du weißt nicht, was wir hier machen, ist das so? Du weißt auch nicht, wer ich bin und wie ich heiße, ja?“ Ja, sie sprach es einfach aus, was mich an der Tür stehen ließ. Sie nahm mich dann bei der Hand und zeigte mir meinen Platz in diesem großen Raum, in diesem Klassenzimmer. Das tat sie öfter. Nämlich immer dann, wenn ich an der Tür stand und nicht weiter wußte. Neben meinem Platz saß ein Mädchen, die ebenfalls eine solche Strumpfhose trug wie ich. Das beruhigte mich sehr. Die meisten Kinder trugen solche Strumpfhosen, nicht nur ich und das machte mir ein gutes Gefühl von so vielen Strumpfhosen umgeben zu sein.

An diesem Tag sollten wir ein Diktat schreiben und die Lehrerin verteilte Hefte, in die wir schreiben sollten. Jedes Kind bekam ein solches Heft, auch ich und auch das war wieder ein schönes Gefühl für mich, von so vielen verteilten Heften umgeben zu sein. Diktat schreiben war für mich immer etwas, worauf ich mich freute. Die Lehrerin sagte einen Satz und ich schrieb ihn auf. Sie sagte immer nur einen einzigen Satz, niemals zwei oder mehr. Das war wunderschön und das Diktat hätte auch den ganzen Tag dauern können. Mir machte das Schreiben Spaß und manchmal malte ich auch etwas hinzu.

Plötzlich war alles anders und ich erschrak. Die Lehrerin sprach plötzlich ganz viele Sätze, sodaß ich nicht mehr folgen konnte. Ein paar Kinder stürmten laut los und sammelten die Hefte ein, auch mein Heft und ich konnte nicht mehr weiterschreiben. Die Hefte, die mich so schön umgeben hatten, waren einfach weg. In dem großen Raum wurde es dann immer lauter und die Kinder liefen völlig durcheinander. Alles war wirr. Ich wußte nicht, wohin ich schauen sollte und hielt mir auch die Ohren zu und war bitter enttäuscht.