Klassifikation
Es gibt viele Versuche Kriterien zu bemühen, um das Asperger-Syndrom zu umschreiben. Es ist und bleibt ein schwieriges Unterfangen, da jeder Mensch ein Individuum ist und auf seine persönliche Weise mit seinen Besonderheiten umgeht. Wir möchten hier dennoch zwei Klassifikationen aufführen, die eine Orientierung zur Selbsteinschätzung darstellen können.
In der Regel verlangt eine Diagnosestellung immer den Blick und die Beobachtung auf die Schwächen eines Menschen zu richten, um herauszustellen, in welchem Bereich er in seiner Entwicklung von der "Norm" abweicht. Die an erster Stelle aufgeführten diagnostischen Kriterien folgen dieser Vorgabe. Im weiteren wollen wir Kriterien vorstellen, die sich an den Stärken oder Talenten von Menschen mit Asperger-Syndrom orientieren.
Diagnostische Kriterien bzw. Leitlinien nach DSM-IV
A. Qualitative Auffälligkeiten der sozialen Interaktion in mindestens zwei der folgenden Bereiche:
- ausgeprägte Beeinträchtigung im Gebrauch vielfältiger nonverbaler Verhaltensweisen wie beispielweise Blickkontakt, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gestik zur Steuerung sozialer Interaktionen,
- Unfähigkeit, entwicklungsgemäße Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen,
- Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu teilen (zum Beispiel Mangel, anderen Menschen Dinge, die für den Betroffenen von Bedeutung sind, zu zeigen, zu bringen oder zu erklären)
- Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit;
B. Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten in mindestens einem der folgenden Bereiche:
- Konzentrierte Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen und begrenzten Interessen, wobei Inhalt und Intensität oder durch ihr Gebiet abnorm sind,
- offenbar sture Befolgung spezifischer, nicht funktionaler Routinen und Rituale,
- stereotype und repetitive motorische Manierismen ( z.B. Biegen oder schnelle Bewegungen von Händen oder Fingern oder komplexe Bewegungen des ganzen Körpers),
- anhaltende Beschäftigung mit einzelnen Teilen von Objekten
C. Die Störung verursacht bedeutende Beeinträchtigungen auf sozialem, beruflichen oder auf einem anderen Gebiet.
D. Es existiert keine klinisch bedeutsame allgemeine Sprachverzögerung (z.B. spricht der Betroffene im Alter von zwei Jahren einzelne Worte und benutzt im Alter von drei Jahren kommunikative Redewendungen).
Wenn wir nun die Kriterien aufführen, die sich an den Stärken der Betroffenen orientieren, dann können wir auch nicht mehr den Begriff Syndrom verwenden. Die Autoren Attwood und Gray, die diese Kriterien zusammengestellt haben, ersetzen an dieser Stelle den Begriff Asperger-Syndrom durch den Begriff Aspie.
Kriterien für die Entdeckung von Aspie, von Attwood und Gray
A. Oualitative Vorteile in der sozialen Interaktion, die sich in der Mehrzahl der folgen Punkte manifestieren:
- Beziehung zu Altersgenossen geprägt von absoluter Loyalität und untadeliger Zuverlässigkeit.
- Frei von vorurteilen auf Grund des Geschlechts, des Alters oder der Kultur; Fähigkeit, andere so zu akzeptieren, wie sie sind
- Drückt eigene Gedanken ungeachtet des sozialem Zusammenhangs aus oder hält an persönlichen Überzeugungen fest
- Fähigkeit, persönliche Theorien oder Perspektiven trotz widersprechender Beweise zu verfolgen
- Sucht Zuhörer_innen oder Freund_innen, die fähig sind, sich für einzigartige Interessen und Themen zu begeistern, Details schätzen und Zeit damit verbringen, ein Thema zu diskutieren, das nicht von vorrangigem Interesse zu sein scheint.
- Hört ohne ständiges Urteilen oder Unterstellungen zu
- Hauptsächlich an aussagekräftigen Gesprächbeiträgen interessiert; vermeidet "ritualisierten Small Talk" oder sozial triviale Aussagen und oberflächliche Unterhaltungen
- Sucht aufrichtige, positive, echte Freunde mit einem bescheidenen Sinn für Humor
B. Spricht fließend "Aspergisch", eine soziale Sprache, die von mindestens drei der folgenden Merkmale gekennzeichnet ist.
- Entschlossen die Wahrheit zu suchen
- Unterhaltung frei von versteckten Bedeutungen und Hintergedanken
- Hoch entwickelter Wortschatz und Interesse an Wörtern
- Faszination an wortbasiertem Humor wie Wortspielen
- Fortgeschrittener Gebrauch von Bildmetaphern
C. Die kognitiven Fähigkeiten sind durch mindestens vier der folgenden Merkmale gekennzeichnet:
- Starke Bevorzugung von Details vor dem Gesamtbild
- Originelle, oft einzigartige Weise der Problemlösung
- Außergewöhnliches Gedächtnis und / oder Erinnerung an Details, die von anderen oft vergessen oder ignoriert werden, wie z.B. Namen und Daten, Terminpläne, Routinen
- Begeisterte Ausdauer beim Durchhalten beim Sammeln und Ordnen von Informationen zu einem Thema von Interesse
- Beharrlichkeit des Denkens
- Enzyklopädisches oder "CD-ROM"-Wissen über ein oder mehrere Gebiete
- Wissen um Routinen und ein zielgerichteter Wunsch, Ordnung und Genauigkeit aufrechtzuerhalten
- Klarheit in den Worten / bei Entscheidungen, unberührt von politischen oder finanziellen Faktoren
D. Mögliche zusätzliche Merkmale
- Große Sensibilität für bestimmte sensorische Erfahrungen und Stimuli, z.B. Hören, Berührung, Sehen, und / oder Geruch
- Stärke bei Einzelsportarten -spielen, besonders solchen, die Ausdauer und visuelle Genauigkeit erfordern wie Rudern, Schwimmen, Bowling, Schach
- "Sozial unbesungener Held" mit vertrauensvollem Optimismus: häufiges Opfer der sozialen Schwächen anderer und trotzdem an dem Glauben festhaltend, das echte Freundschaften möglich sind
- Eine höhere Wahrscheinlichkeit als in der Durchschnittsbevölkerung, nach dem Gymnasium die Universität zu besuchen
- Oft fürsorglich anderen gegenüber außerhalb des Rahmens der typischen Entwicklung
Letztlich hat jeder Mensch mit Asperger-Syndrom seine eigene Persönlichkeit, die bestimmend ist für die Art, in der es auf seine Behinderung reagiert, und die es zum Individuum machen, dass sich nicht in eine Schablone pressen lässt. (vgl. Lorna Wing 1980)